Ein offener Brief an alle Lehrkräfte

Sehr geehrte Lehrkräfte,

acht Jahre habe ich nun diese Schule besucht, vor vier Jahren habe ich mich geoutet. Bis heute erinnere ich mich an die Angst, die ich lange jeden Morgen hatte, wenn ich das Schulgebäude betreten habe. Angst, weil ich nicht „normal“ war, weil ich wusste, wie MitschülerInnen über mich dachten. Und Angst, weil ich selbst irgendwie kaum wusste, was eigentlich nicht mit mir „stimmt.“ Zuvor war mir das Thema Homosexualität nur ein einziges Mal im Schulkontext begegnet, als im Politikunterricht über Familienkonzepte gesprochen wurde und viele meiner Klassenmitglieder begannen, sich laut darüber auszulassen, dass so etwas verboten gehöre und man lieber sterben würde als selbst homosexuell zu sein. Auch kam ich in der Schule das erste Mal mit einer homosexuellen Person in Kontakt, für mein zwölfjähriges Ich damals war dies eine Erfahrung, die sich kaum verarbeiten ließ. Sowas gibt es tatsächlich? Wie soll ich damit umgehen?, waren nur zwei der vielen Fragen, die ich mir stellte. Später blickte ich wegen ihrer Offenheit zu dieser Person auf. Andere, nicht queere Lehrkräfte schienen davon kaum etwas mitzubekommen, schien für sie doch stets die heterosexuelle Norm zu bestehen.

Als ich dann mehr über meine eigene Sexualität lernte, wünschte ich mir eine Person, an die ich mich wenden kann, die mir hätte sagen können, was da los ist mit mir und dass das ganz normal ist. Aber es schien so außergewöhnlich und eben nicht normal, dass ich mich nicht traute, auf Menschen zuzugehen, die sich noch nie zuvor offen über dieses Thema geäußert hatten. Jahrelang hatte ich nicht nur Angst vor der Reaktion meiner MitschülerInnen, sondern auch vor der meiner Lehrkräfte. Viele von Ihnen waren und sind bis heute meine Vorbilder, Menschen, die einen immensen Einfluss auf meine Entwicklung und Erziehung hatten und tatsächlich einfach lehrende Personen – nicht nur im fachlichen Sinne, sondern auch für das Leben und den Umgang mit Anderen. Viele von Ihnen haben mich auf meinem Weg unglaublich geprägt, viele von Ihnen dienten stets als Orientierung und als Wegweiser. Ich weiß, dass ich nicht der einzige Mensch bin, dem es so geht. Vor allem Menschen, die sich von der gesellschaftlichen Norm unterscheiden, suchen und brauchen eine Orientierung bei ihren Lehrkräften. Denn die Schule bildet einen Mittelpunkt, der zugleich alles andere beeinflussen kann.

Sie können queeren Menschen die Entwicklung ihrer Persönlichkeit erleichtern und sie in ihrem Weg stützen und genau dies ist ein Teil Ihres Lehrauftrages. Bis heute ist der Erstkontakt mit Queerness für viele mit Feindlichkeit verbunden und zugleich mit Erstaunen und vielleicht sogar Verwirrung. Und das nicht, weil es ein Thema ist, das für Kinder ungeeignet ist, sondern weil es bis heute tabuisiert und versteckt wird. Ich fordere und erwarte von Ihnen keine Aufklärungskampagnen, ich bitte Sie, das Thema Queerness im Umgang mit SchülerInnen und im Unterricht zu normalisieren und damit umzugehen, statt es zu vermeiden oder zu übergehen.

Ist man als SchülerIn in einer Beziehung, erkundigen sich Lehrkräfte häufig, wie es läuft und ähnliches. Als ich geoutet war und alle von meiner Beziehung wussten, gab es gerade eine Lehrerin, die sich erkundigte, wie es denn mit meiner Freundin laufe. So etwas war mir damals noch nie passiert und als Person, die damals noch viel mit sich selbst zu kämpfen hatte, übertreibe ich nicht, wenn ich schreibe, dass ich in diesem Moment am liebsten zu weinen begonnen hätte. Diese Frage, diese Normalisierung bedeutete mir damals so viel. Sie zeigte mir, dass es auch nicht-queere Personen gibt, die mich so akzeptieren und sich dennoch für mich interessieren.

Sehr geehrte Lehrkräfte, bitte unterschätzen Sie nicht den Einfluss, den Sie auf Ihre Schülerinnen und Schüler haben können. Es ist wichtig, dass Sie das Thema Queerness normalisieren und in Ihren Unterricht einbauen, dass Sie Kindern zeigen, dass nichts mit ihnen falsch ist und dass sie sie selbst sein können. Und wenn Ihnen noch einmal jemand wie ich begegnet, helfen Sie dieser jungen Person voller Fragen auf ihrem Lebensweg und nehmen ihr diese Last von den Schultern.

Mit freundlichen Grüßen

Laura